Kapitel 1
Der Geist im Klassenzimmer
Mein Name lautet Amelie Sophie Seibezeder, ich bin elf Jahre alt und besuche die 1a-Klasse der Musik-NMS. Diese
Kurzgeschichte entstand aufgrund eines Geräusches, das immer nach dem Einschalten des Lichts in unserem Klassenzimmer zu hören ist.
Wovon ich nun erzähle, passierte an einem Montag. Am Anfang der Gitarrenstunde, die gerade stattfand, herrschte Chaos. Die letzten Nachzügler huschten eilig aus dem nun fast leeren Klassenzimmer. Nun, um 7.45 Uhr, befanden sich nur noch sechs Personen im Raum: Frau Forster, unsere Lehrerin, Tim, Ena, Anna Knoll, Anna Kleindeßner und ich selbst. Wir hatten nicht allzu viel auf und wollten die Lieder gleich nach dem Stimmen der Gitarren zum Besten geben.
Vom ersten Lied spielte uns Tim gerade den letzten Ton vor. Es war gut gespielt worden, ohne Fehler! Alle applaudierten laut. Doch bevor Anna uns dasselbe Lied spielen konnte, machte Frau Forster uns auf ein merkwürdiges Geräusch aufmerksam.
Es war komisch! „Da! Schon wieder!“, rief Ena. Nach einiger Zeit angestrengtem Lauschen stellten wir fest, dass das Knacken von den Lampen stammte.
Plötzlich hörten wir noch ein lauteres und bedrohlicheres Geräusch. Aus den Lampen kam das größte Wesen, das ich je gesehen hatte! Vor Schreck waren wir wie gelähmt.
Beherzt gähnte das riesige Ungeheuer. Erst jetzt entdeckte uns das Monster. „Guten Morgen!“, sagte es mit tiefer Stimme. Nun trauten wir uns nach dem Namen des Wesens zu fragen. Diese Kreatur erzählte uns, sie heiße Otto und sei ein Geist. Er brummte: „Ich verstecke mich hier schon seit Schulanfang und überlege mir hier, in meinem Büro, in den Lampen Geschichten.“ Wir staunten. Otto erzählte uns, er saß gerade in der Hängematte inmitten der Elektronik, als er durch unser Gitarrenspiel aus seinen Gedanken gerissen wurde. So wurde plötzlich aus der Gitarrenstunde eine Plauderstunde mit einem Geist. Von nun an kam Otto in jeder dritten Gitarrenstunde zu uns, um sich mit uns zu unterhalten!
Fortsetzung folgt! ...
Kapitel 2
Otto besucht uns unerwartet
Aber anscheinend wollte Otto auch die anderen Kinder in der Klasse kennenlernen. Und so geschah es eines Tages, dass er uns mitten in einer Musikstunde besuchte. Wir hörten plötzlich, dass der Heizkörper so komische Geräusche von sich gab. Frau Forster und die anderen Kinder hörten ein Singen. Es war Otto, der gerade unter der Dusche „Love shine a light“ brummte. Genau das Lied, das wir bei der 30 – Jahre - Jubiläumsfeier zum Besten gaben. Unser Klassengeist kam halbnackt aus dem Heizkörper, aber Gott sei Dank hatte er sich jetzt das Tuch genommen, das wir für die Tafel zum Trocknen benützten. Frau Forster schimpfte ein bisschen mit ihm und sagte: „Was fällt dir ein, dich so vor den ganzen Kindern blicken zu lassen?“ Otto verschwand noch schnell in der Lampe und kam kurze Zeit später mit einem glitzernden Sakko wieder. Wir staunten, denn normalerweise muss man sich in der Schule nicht so schick anziehen. Doch da Otto so ein Lieber war, ließen wir es dabei. Nun plapperte er wieder dieselbe Geschichte, die er auch schon der Gitarrengruppe erzählt hatte. Er versprach uns, nun öfter in der Klasse vorbeizuschauen, wenn er nicht gerade selbst an einer Geschichte schreibt.
Fortsetzung folgt! ...
Kapitel 3
Ottos Streiche
Manchmal übertreibt der Klassengeist Otto der Klasse 1A so richtig! Dieses Mal erzähle ich euch von seinen Streichen, die er sich oben in der Lampe in seiner Hängematte ausdenkt.
An einem kalten Wintertag saß Otto Geist in seinem - aus Karton gebauten - Liegestuhl und grübelte. Otto dachte viel über seine Bücher, das Keksebacken und über Streiche nach. Da klingelte plötzlich das Telefon. „Kling-Kling“, machte es. Der Geist stand gemächlich auf und überlegte: „Aus der 1A kann es niemand sein! Die Schüler haben Unterricht. Auch wenn Sarah und Amelie manchmal anrufen und mich zu einer Tasse Tee einladen, haben sie jetzt Unterricht.“
Otto von Wilhelm, wie er sich selbst nannte, hob ab. Am anderen Leitungsende ertönte eine vertraute Stimme. „Otto, alter Freund! Ich bin es, Anton! Ich wollte dich fragen, ob du einmal Zeit zum Kartenspielen hast!“, rief Anton, Ottos alter Schulfreund, mit tiefer Stimme in den Hörer. Otto nickte begeistert. Dann, nach etwa einer Minute, war ihm klar, dass Anton ihn nicht sehen konnte. Hastig bejahte er. Damit war das Treffen abgemacht. Bald würde Anton zu ihm kommen. Doch bis es soweit war, verstimmte er alle Gitarren in der Klasse und stahl sein Portrait von der Tafel. Vergnügt ließ er sich Wasser in seine heißgeliebte Badewanne ein. Als er auch damit fertig war, erzählte er uns Kindern von seinem Erlebnis am Telefon.
Am Freitag um halb acht Uhr in der Früh klopfte es an Ottos Tür. Anton war endlich gekommen. Nach einer stürmischen Begrüßung spielten sie Schach. Dann kamen auch schon die ersten Schüler herein. Er sprach feierlich: „Darf ich vorstellen: Das ist Anton, ein alter Schulfreund von mir!“ Und dann hörten die beiden gar nicht mehr auf mit den Streichen. In den ersten Stunden spielten sie Karten mitten am Lehrerpult. Ihr könnt euch sicherlich schon denken, dass die Stunden äußerst lustig waren. Leider fanden das die Lehrer nicht. Irgendwann reichte es ihnen. Sie packten die beiden zornig am Kragen und Anton musste wieder nach Hause. Aber Otto konnten die Lehrer nicht vertreiben! Er blieb immer so wie er war, auch ohne seinen Freund.
Kurz vor dem Klingeln zur großen Pause hatte er es aber schon wieder ein bisschen zu weit getrieben. Sarah und Amelie schnappten ihn, als er gerade den Mülleimer heimlich ausleeren wollte, gaben ihm einen Beruhigungstee und brachten ihn in seine Lampe.
Doch sicher würde die Sache bald von vorne losgehen, denn in der fünften Stunde klingelte über der Klasse erneut das Telefon. Otto rief freudig: „Klara! Was für eine Überraschung!“ Nach einer kurze Pause meinte er: „Natürlich kannst du vorbeikommen!“.
Die Klasse stöhnte, und das ganze Durcheinander begann von vorne….
Amelie Seibezeder
Fortsetzung folgt....
Kapitel 4
Otto und die Coronakrise
Heute ist ein ganz normaler Montag. Es war Montag, der 16.3.2020, aber es war niemand in der Schule außer 2-3 Kinder. Zuerst dachte Otto es wären Ferien, aber dann sagte ein Kind: ,, Seht mal, da ist Otto! Seltsam, er hat noch nicht bemerkt, dass sich ein Virus herumtreibt und dass deswegen die Schulen geschlossen wurden!“ Otto war ganz erschrocken, flog durch das fast leere Klassenzimmer und rief: ,, Johanna, Frau Forster, Nina, Hana, Leni!“ und alle anderen 20 Namen. Aber es antwortete kein Mensch. Otto war so traurig, dass unser ganzes Klassenzimmer voller Wasser war, weil er so weinte. Er wurde krank vor Sorge.
Daher schickte er seine Frau Olivia am Dienstag bei mir vorbei. Olivia wollte wissen, warum niemand in der Schule ist. Ich musste ihr erst erklären, dass der Corona- Virus Schuld ist und dass sich im Fernsehen alles um den Virus dreht. ,, Die Schulen wurden auch geschlossen?“, fragte Olivia „Ja!“, antwortete ich. „Aber ist der Corona -Virus giftig?“, wollte Olivia wissen. „Nein, nicht giftig, aber sehr ansteckend, und das ist gefährlich!“ „ Wie gefährlich?“, fragte die neugierige Olivia. „ Man kann im schlimmsten Fall sogar daran sterben!“, flüsterte ich leise. Olivia war sehr traurig und erzählte mir, dass Otto vor lauter Einsamkeit schon krank war. „ Oder könnte das schon der Virus sein?“, wollte sie wissen. „Nein, bestimmt nicht!“, versuchte ich sie zu beruhigen, „die Ansteckungsgefahr besteht nur bei Menschen.“
Olivia fragte, ob ich Otto nicht mal besuchen könnte, wenn es doch für Geister nicht gefährlich wäre. Ich musste ihr leider erklären, dass wir uns momentan mit niemandem treffen durften. So musste Otto in der Zwischenzeit ohne uns auskommen.
In den nächsten Wochen kam Olivia noch öfter vorbei, und zweimal nahm sie auch Otto mit nach Wolfern. Einmal, als er bei uns zuhause war, wusste Otto, er durfte nicht zu mir in mein Zimmer, aber in den Keller! Er flog natürlich in den Keller! Er nahm das T-Shirt meiner Schwester und versteckte es in der Waschmaschine. Am zweiten Tag flog er nicht in den Keller sondern in unsere kleine Gartenhütte. In dieser steht der Hasenstall mit unseren Hasen Luna und Jimmy, Blumen und vielen anderen Sachen. Otto machte den Hasenstall auf und ließ die beiden aus. Luna & Jimmy liefen hin und her und hatten viel Spaß. Als am Abend mein Papa in die Gartenhütte ging, sah er das Problem. Unsere beiden Hasen hatten eine Styroporplatte mit ihrem Essen verwechselt und ein großes Loch herausgeknabbert. Otto saß in der Hütte ganz oben und hatte jede Menge Spaß an seinem Streich. Meine Schwester und ich hatten Mühe, die Hasen wieder einzufangen. Zum Abschied flog Otto an meinem Zimmerfenster vorbei und ich winkte ihm zu. Ich bin gespannt, ob Otto und Olivia noch andere Kinder besuchen werden....
Fortsetzung folgt...
Kapitel 5
Otto in den Ferien
Wie ihr euch sicher denken könnt, gibt Otto, unser Klassengeist, auch jetzt keine Ruh. Heute werde ich davon erzählen, was Otto machen will, wenn wir alle nicht in der Schule sind. Nun es fängt alles damit an, dass Otto von Wilhelm am 1.April Geburtstag hat…
Eines grauen Frühlingstages wachte Otto in seiner Hängematte auf und überlegte, was er heute tun wollte. Da fiel sein Blick auf den Kalender. Morgen war sein 59. Geburtstag! Diesen Tag feierte er, seit er tot war, denn welchen sollte er sonst feiern? Mit 59 Jahren starb Otto von Wilhelm auf der Burg Grauenstein. Aber das nimmt Otto nicht so genau.
Jedenfalls sprang er ganz aufgeregt auf und rief: „Super! Aber warum sind so viele Feste in dieser Zeit? Ostern feiern wir ja auch bald!“
Da kam ihm die wahnsinnige Idee Ostern vorzuverlegen und an seinem Geburtstag in der Schule beide Feste zu feiern!
Sofort rief er seine Geisternachbarin Inge und deren Hausfliege Ilse an. Die beiden waren wie immer total begeistert von dieser Idee. Danach rief er noch Klara, Anton und seinen neuen Freund Paul an. Dann kamen am Nachmittag alle, um die Party zu planen. Das einzige Problem war, dass sie nicht wussten, wie sie dem Osterhasen erklären sollten, dass er Ostern vorverlegen sollte. Klara meinte: „Das ist ein großes Problem!“ Doch auch dieses wurde bald gelöst, als sich herausstellte, dass Inge mit dem Osterhasen befreundet war. Diese war für ihre Überredungskunst weltweit bekannt, und schon war Ostern für alle Geister vorverlegt.
Am 1. April ging in der Schule dann die Post ab. Alle Gespenster - ob groß oder klein - feierten mit Otto seinen Geburtstag. Währenddessen versteckte der Osterhase alle Eier und Süßigkeiten. Allerdings blieben diese nicht lange unentdeckt, und so waren alle Körbchen in nur zwei Tagen gefunden.
Als die Riesenfete vorbei war, lag Otto von Wilhelm wieder in seiner Hängematte und verzehrte genüsslich seinen letzten Schokoosterhasen. Nun schrieb er wieder einmal ein Buch. Dieses Mal war es aber kein Krimi, sondern eine Traumgeschichte, in der er auf einer Wolke ritt. Das Buch selbst nannte er: „Der Wolkenritt“.
Müde murmelte er : „So lässt es sich leben!“ und schlief gleich darauf ein.